Am Ende des Tages sind rechte Täter arme Opfer.

2 Sept

Bis vor wenigen Jahren waren die Deutschen das Volk der Täter. Neuerdings sind sie ein Volk der Opfer.
An die alten Zeiten wollten sich viele nicht gern erinnern. Genauer gesagt: Viele wollten sich nicht gern an die eigenen Rolle in dieser Zeit erinnern.
Aber auch andere Erinnerungen sind manchen peinlich. Dabei mag man sich fragen, ob es wirklich die Erinnerungen sind, die ihnen heute nicht gefallen, oder ob es das Heute-daran-erinnert-Werden ist. Jedenfalls wischen einige ihre eigene Vergangenheit möglichst geräuschlos vom Tisch, damit niemand etwas davon mitbekommt.
Wenn dann aber trotzdem Peinliches aus der eigenen Jugend auftaucht, dann sind oft andere dafür verantwortlich. Das Erinnern macht Täter dann zu Opfern und möglicherweise sogar Opfer zu Tätern. So jedenfalls kann man es seit acht Tagen im Fall Aiwanger beobachten.
Vor 35 Jahren hatte der Gymnasiast Helmut Aiwanger ein übles antisemitisches Pamphlet verfasst. Oder war das doch sein Bruder Hubert? Jedenfalls hatte Hubert Aiwanger einige Exemplare dieses menschenverachtenden Flugblatts in seiner Schulranzen und wurde damals auch dafür bestraft.
Mittlerweile ist Hubert Aiwanger stellvertretender Ministerpräsident in Bayern und Vorsitzender des Landesverbands der „Freien Wähler“. An eigene antisemitische Äußerungen will er sich nicht mehr erinnern. Vielmehr betrachtet er sich als Opfer derjenigen, die sich noch an seinen Hitler-Gruß im Klassenzimmer erinnern.
Nun könnte eine wohlmeinende Beobachterin einwerfen, das alles sei doch schon so lange her und die beiden Brüder seien damals doch noch Schulbuben gewesen. Doch Aiwangers Äußerungen im derzeitigen bayerischen Landtagswahlkampf lassen den Vorsitzenden der „Freien Wähler“ in einem durchaus fragwürdigen Licht erscheinen. Immerhin hatte er dazu aufgerufen, sich „die Demokratie zurückzuholen“.
Implizit heißt das, dass die Demokratie in Bayern wohl weg sein muss. Irgendwer muss sie dem Hubert weggenomen haben, obwohl er doch stellvertretender Ministerpräsident von Bayern ist. Wie wäre so was wohl möglich?
Rechtspopulismus vereinfacht und verkürzt. Rechtspopulismus verdrängt Fakten. Rechtspopulismus macht Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern.
Wenn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach Aiwangers später und halbgarer Entschuldigung sowie seiner Selbststilisierung als Opfer immer noch an ihm festhält, dann macht er sich zum Mittäter eineer Verschwörungserzählung von angeblich gestohlener Demokratie in Bayern. Das kann er ernsthaft wohl nicht wirklich wollen. Darum wird die CSU nun eine Entscheidung gegen Aiwanger und notfalls auch gegen die „Freien Wähler“ treffen müssen, wenn sie weiterhin rechtsoffen an ihrem antisemitischen Vorsitzenden ohne ehrliche Besserungsfähigkeit festhalten.